Feuerwerk für einen Bahnhof


Als ich im Juni das Ostkreuz besuchte, empfand ich das Feuerwerk als eine sehr freundliche Geste.
Heute ist schon etwas Galgenhumor nötig, dieses Bild zu betrachten und sich daran zu erfreuen. Aber das Ostkreuz soll heute diese Abschiedsfeier bekommen.

Bahnsteig A geht heute in den Ruhestand, der vermutlich nur kurz währen wird. Bis die Bagger kommen.
Und auch die Tage von Bahnsteig F in seiner heutigen Form sind zu Ende. Ab Montag, 31. August, fährt die Ringbahn in Richtung Frankfurter Allee am neuen Regional-Ringbahnsteig. Und ein paar Wochen später wird auch die Gegenrichtung verschwenkt, so daß Bahnsteig F abgerissen werden kann.

Für Umsteiger brechen harte Zeiten an. Die Umsteigewege verlängern sich drastisch.

Für die Freunde des maroden Charmes, der für das Ostkreuz charakteristisch, ja sinnbildlich war, geht eine Ära zuende. Das einst lebendige Museum, der Ort, an dem Vergangenheit erfahrbar war, verschwindet für immer in der Erinnerung.

Das Photoblog Lostkreuz wird weiterhin Bilder vom Ostkreuz in seiner bisherigen bzw noch älteren Gestalt zeigen und der Erinnerung auf die Sprünge helfen.

Das Ende der Idylle

All diese Pracht ist nur noch – Erinnerung.

Dem Ostkreuz geht es inzwischen ernsthaft an den Kragen. Nicht genug damit, daß der gesamte Damm der Nordkurve seit Wochen übereifrig abgetragen wird, nein, nun sind auch auf Bahnsteig A alle Bäume gefällt worden. Alle, die Sie hier sehen :-(((

So muß sich der Ostkreuz guide wohl oder übel darauf einstellen, allmählich endgültig zum Museum zu werden. Gern wollen wir hier die Erinnerung aufbewahren. Zusenden von historischen Ostkreuz-Photos oder Erlebnisberichten sind jederzeit gern willkommen.

Die aktuelle Planung

Die Berliner Zeitung faßt den derzeitigen Stand der Umbauplanung wie folgt zusammen:

Nicht nur S-Bahn-Fahrgäste, sondern auch Autofahrer werden den Umbau des Bahnhofs Ostkreuz zu spüren bekommen. Eine wichtige Nord-Süd-Verbindung muss ein Jahr lang gesperrt werden. Von April 2007 an wird die Brücke im Verlauf der Kynaststraße abgetragen und neu gebaut. „Sie ist irreparabel desolat. Die Träger sind angerostet“, sagte Eva-Marie Zimmer von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung während einer Veranstaltung zum Umbau des Ostkreuzes. Die neue Brücke soll 2008 für den Fahrzeugverkehr freigegeben werden. Sie wird mit 172 Metern 100 Meter länger als ihre Vorgängerin sein, aber dieselbe Breite haben: 20 Meter. Während des Neubaus müssen die Kraftfahrer nach Westen ausweichen. Die Umleitung führt über die Modersohnbrücke.

S-Bahn-Reisende müssen während des Ostkreuz-Umbaus vor allem auf der Linie S 3 Richtung Erkner mit größeren Einschränkungen rechnen. Diese Strecke wird am Ostkreuz zeitweise nur eingleisig befahrbar sein, hieß es bei der Deutschen Bahn (DB). Auch eine längere Vollsperrung der S 3 ist zu erwarten.

Dagegen bleiben die Passagiere auf dem S-Bahn-Ring von einer zunächst vorgesehenen Umleitungsregelung, die ihnen längere Fahrzeiten beschert hätte, verschont. Sven-Erik Baer, Projektleiter bei der DB Projektbau: „Auf dem Ring wird das komplette Programm gefahren. Den geplanten Dreiecksverkehr wird es nicht geben.“ Dabei sollten alle Ringbahnzüge einen Abstecher zur Warschauer Straße unternehmen.

Baer präsentierte den Fahrplan des Ostkreuz-Umbaus, der 411,3 Millionen Euro kosten soll. „Der erste Teil des Rodungsprogramms ist inzwischen abgeschlossen.“ Dabei wurden auch drei Bäume beseitigt, die erst später gefällt werden sollten. Für Juni 2006 wird der Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts erwartet – die Baugenehmigung. Nach der WM kommt zunächst der Ringbahnabschnitt an die Reihe. Dort entstehen ein Bahnsteig für den Regionalverkehr und ein neuer, 35 Meter breite S-Bahnsteig, der eine 135 Meter lange Halle erhält. Von 2010 an wird dann im unteren Teil gebaut: zwei unterirdische Wände sowie eine Stahlbetondecke als Vorleistungen für den künftigen Tunnel der Stadtautobahn, zwei neue S-Bahnsteige und ein Bahnsteig für den Regionalverkehr entstehen – dessen Fertigstellung ist für Anfang 2015 geplant.

Dann werden täglich 80 090 Um- sowie 42 960 Ein- und Aussteiger am Ostkreuz erwartet. Derzeit nutzen täglich rund 100 000 Menschen den wichtigsten Berliner Knotenpunkt.

Bauarbeiten auf Südbrücke


Noch bis zum 6. März werden auf der Verbindungsbrücke zwischen Südring und Stadtbahn Instandsetzungsarbeiten durchgeführt. Währenddessen ist die S9 am Ostkreuz unterbrochen.
Und dank Hupkonzert ist es wohl auch sehr laut.
Es handelt sich übrigens bei den aktuellen Arbeiten noch nicht um den Beginn des eigentlichen Umbaus, sondern um „planmäßige Instandsetzungsleistungen“, die dazu beitragen, „die Verfügbarkeit der Anlagen bis zum Beginn der Grundinstandsetzung des Bahnhofs Ostkreuz zu erhalten“. „Gewechselt werden jetzt die Brückenbalken, also die massiven Holzschwellen, auf denen die Schienen befestigt sind. Im Anschluss an die Brücken in Richtung Treptow werden außerdem Gleisarbeiten ausgeführt.“ (Quelle: S-Bahn Berlin)

Der erste frühlingshafte Tag


Der erste frühlingshafte und sonnige Samstag dieses Jahres verlockte nur zu sehr zum Fotografieren an freier Luft, und da es am Ostkreuz vorangeht, von den Lauben und dem Gestrüpp also nicht mehr lange etwas zu sehen sein wird, war das Ziel auch festgelegt. Nach der Ankunft und dem Scharfmachen der Kamera zeigte sich jedoch, dass man bei weitem nicht der Einzige mit dieser Idee war. Der fröhliche Digitalfotograf, der sich gegen 13:30 Uhr ebenfalls auf dem Bahnsteig A herumtrieb, war nur der Anfang. Insgesamt waren mindestens sieben Fotobegeisterte am großen Ostkreuz-Fototag, dem 18. Februar, zu zählen, davon sogar ein Wagemutiger mit Camcorder und einer mit ner Super-8-Filmkamera (na wer das wohl war? ähem… ;-) ).
Ob es die strahlende Sonne um Mittag herum, die Nachrichten auf der S-Bahn-Seite oder eher
beides war, wer weiß. Falls einer der Sieben hier mitmachen sollte oder dies hier grad liest, dann bitte einmal melden, wir haben uns gesehen ;-)
Die Fortschritte beim Fällen sind deutlich sichtbar und damit auch, wie verwuchert dort alles war. Der Wasserturm steht frei und in Richtung Nöldnerplatz wurde links (wahrscheinlich) ein Güterbahnsteig unter den Bäumen freigelegt. Mal sehen, wann die Lauben dran sind. Langsam geht’s also auf zum Endspurt am Ostkreuz.
Also: Noch ein paar Filme sammeln oder Speicherkarten freimachen und auf etwas Sonne hoffen. Allzu grau sollen die Erinnerungen ja nun auch nicht bleiben!

Es darf abgerissen werden

„Jahrelang wurde diskutiert, geplant und beantragt – während der Zahn der Zeit fast ungehindert am Ostkreuz nagte. Nun ist es endlich geschehen: Die erste Genehmigung für Bauarbeiten an dem marode wirkenden Knotenpunkt liegt vor. Säge- und Abrisstrupps dürfen anrollen, um dem lange erwarteten Umbau das Feld zu ebnen. „Das Eisenbahn-Bundesamt hat eine Plangenehmigung für vorgezogene bauvorbereitende Maßnahmen erteilt“, teilte die Behörde mit. Doch wann genau diese Bauarbeiten tatsächlich anfangen, ist weiterhin unklar.

Nach der Genehmigung ist es jetzt möglich, die eingeschossigen Bauten im Umfeld des S-Bahnhofs abzureißen. In den Baracken waren früher Reichsbahn-Dienststellen untergebracht. Auch der „Rückbau von Kleingartenanlagen“ darf beginnen. Den Laubenpiepern wurde schon gekündigt, so die Deutsche Bahn (DB). Der Bau einer provisorischen Fußgängerbrücke ist ebenfalls möglich. Sie wird die heutige Überführung von 1923 ersetzen, die während des Umbaus eingelagert und danach wieder aufgebaut wird. Genehmigt wurden außerdem Kabeltiefbauarbeiten und Rodungen.

„Wir sind nun dabei, die Angebote für die vorbereitenden Arbeiten zu prüfen“, teilte die DB Projektbau mit. Ein genaues Datum für den Baubeginn stehe noch nicht fest. Die Rodungen müssten aber bis Ende Februar beendet sein. Denn dann beginnt die Vegetationsperiode, in der nicht gesägt werden darf. Ebenfalls für Februar wird der Planfeststellungsbeschluss für den Ostkreuz-Umbau erwartet.“
(Quelle: Berliner Zeitung)

Da ist es wohl allerhöchste Eisenbahn, die Beine untern Arm zu nehmen und dem Ostkreuz einen letzten Besuch abzustatten. Dieses Jahr wohl kaum mehr. Aber im Januar? Werden sie solange noch warten mit dem Abriß-Kommando?

Und nichts passiert

Artikel von Jörg Niendorf in der Berliner Morgenpost

Über eine einzige, holprige Treppe gelangt man zum Bahnsteig A. Alle anderen Zugänge sind abgesperrt – oder abgerissen worden, und das schon vor Jahrzehnten. In dieser verwunschenen Ecke macht das Ostkreuz seinem Ruf als Rostkreuz allergrößte Ehre. Auf der einen Seite Fachwerkbrücken und der düstere Wasserturm mit Pickelhaube, auf der anderen Seite rot-gelb geklinkerte Bahnsteighäuschen, vorbeifahrende S-Bahnzüge in denselben Farbtönen und das derzeit ebenso bunte Herbstlaub. Den 30 Jahre alten Thomas Kabisch zieht es oft hier oben „ins Idyll“, wie er es nennt. Obwohl er eigentlich immer nur vom unteren, quirligen Bahnsteig D in Richtung Zentrum abfahren muß. Kabisch, von Beruf Informatiker und in zweiter Profession ein versierter Ostkreuzler, wohnt gleich um die Ecke. Seine Sammlung von jetzt schon 15000 Eisenbahndias wächst unaufhörlich, gerade das Kapitel Ostkreuz wird größer und größer.

Auf engstem Raum sind an diesem Kreuzungspunkt in Friedrichshain die Ringbahn und mehrere Ost-West-Strecken miteinander verknüpft. Insgesamt gibt es vier S-Bahnsteige, alle sind Nostalgie pur. Sämtlich liegen sie unter einfachen Vorkriegsdächern, von denen die Lackreste rieseln. Es gibt keine Hallen. Ebenso wenig Aufzüge, Rolltreppen. Max der Maulwurf, das Bau-Maskottchen der Bahn, hat sich bislang nicht hierher verirrt.

Wenn sich jetzt auch noch ein Novemberschleier über das Ensemble legt, paßt das nur zu gut ins Bild. Vielen schaudert, doch die Liebhaber sehnsüchteln. So muß das S-Bahn-Fahren der frühen Jahre gewesen sein! Jede Stimmung zählt für sie in diesem Eisenbahnmuseum. Nichts anderes ist Berlin-Ostkreuz: Eine große Freilichtausstellung. Gleichzeitig steht dieses Relikt vergangener Zeiten mitten im Hier und Jetzt, ausrangiert ist es lange nicht. Jeden Tag muß sich das knarzende Kreuz bewähren. Es ist die belebteste S-Bahn-Station der Stadt, bis zu 150 000 Menschen zwängen sich täglich über schmale Treppen, Rampen und durch unübersichtliche Übergänge, frieren auf zugigen Bahnsteigen. Umbaupläne gab es schon vor dem Zweiten Weltkrieg, in der DDR sowieso, und auch jetzt wird die Sanierung seit Jahren angekündigt. Mit schöner Regelmäßigkeit verschiebt sich jedoch alles und so passiert – nichts.

Andernorts in Berlin entstehen gigantische, flughafenartige Umsteigeterminals. Hauptbahnhof, Südkreuz (also Papestraße) und Nordkreuz (also Gesundbrunnen) gleichen Orgien in Beton, Stahl und Glas. Dagegen nimmt sich das Ostkreuz aus wie ein schmuddliger Exot. Wie der Altrocker aus dem zweiten Hinterhof, der alle beharrlich nervt und doch ein Unikum und irgendwie nicht wegzudenken ist. Also rockt auch das Ostkreuz immer weiter. Dafür, so scheint es, zollen ihm viele Respekt, je mehr Jahre ins Land gehen. Bewundert wird, wie standhaft und unbeirrbar das Schienenkreuz einfach nur funktioniert. Man muß nicht mal Eisenbahnfetischist sein, um von diesem Faktotum angezogen zu werden.

Zur Erinnerung: Ähnliche, aber kleinere Knotenpunkte am S-Bahn-Ring, Schöneberg oder Westkreuz etwa, wurden bereits vor 70 Jahren umgebaut. Da bekamen sie Hallendächer. Wie in der Ära davor gebaut wurde, das läßt sich bis heute am Ostkreuz studieren. Das ist doch auch etwas. Es gibt Dachkonstruktionen mit gußeisernen Stützen außen oder massiven Stahlpfeilerreihen in der Mitte. Nur leider leckt es oft durch bei Regen. Im Mosaikpflaster findet man bisweilen Deckel von Kabelschächten mit königlich-preußischem Emblem. „Vor 1900.“ Präzise erläutert Kabisch das gekrönte Flügelrad, das auf dem Trottoir blinkt. Generationen von Umsteigern haben es mit ihren Schuhsohlen blankpoliert. Wieder einmal verbringt der junge Mann einen Herbstmorgen am Ostkreuz. Gerade lauert er darauf, einen Zug auf der Südkurve abzulichten. Über diese schwenken Züge aus Schönefeld auf die Stadtbahn ein. Aber sie halten nur, wenn sie von Süden kommen, in der Gegenrichtung nicht. Da fehlt der Bahnsteig seit über 30 Jahren. An eben dieser Kurve sucht jetzt auch Thomas Fischer sein Glück. Der ist das erste Mal mit einer restaurierten Leica von 1952 unterwegs, seiner jüngsten Errungenschaft. Der Vater des heute 34jährigen hatte einst die Begeisterung für das Unikum Ostkreuz geschürt. „Schon in der DDR war der Bahnhof ein Thema für sich“ sagt Fischer. So begann er hier als Junge in den Achtzigern zu knipsen. Heute fotografiert er nur mit Sammlerstücken, er hat auch Kameras von 1942 und 1939.

„Viele Fotografen treffe ich regelmäßig, man kennt sich vom Sehen“, erzählt Thomas Kabisch. Manche geben Tips in Internetforen, was wann zu beobachten ist. Einige präsentieren ihre Bilder im Netz. Kabisch dagegen kommt ganz real mit anderen Bahnanhängern zusammen, einmal im Monat zeigen sie sich neue Dias. Junge und alte Fans zieht das Kreuz magisch an. Die einen suchen in diesem Mikrokosmos architektonische Details, alte Technik oder Buden. Skurrile Motive wie den am Vorplatz vernagelten „Frisör für den Herren“ oder die „Blumen für „Sie'“ auf dem Bahnsteig nach Lichtenberg. Andere wollen Atmosphäre, Stadtkulissen oder Zeichen des Niedergangs. Abgesperrte Gleise, vermooste Treppen. Ein angestaubtes Ost-Flair – also das, was im benachbarten Szeneviertel Friedrichshain mittlerweile schon wieder verschwindet, weil die Häuser gründlich saniert werden. Auf den Bahnhof ist jedoch Verlaß, er bietet maroden Charme en masse. „Wieder andere Fotografen wollen nur bestimmte Züge, spezielle Baureihen oder Fahrzeugnummern“, sagt Kabisch. „Das ist wie Tierfotografie: Oft müssen die ganz schön warten.“ Er selbst verfolgt alles, was am Ostkreuz so rollt und rockt. Stimmungen, Züge, Menschenmengen.

Genug Bewegung ist immer. Auf dem maroden Gleisknäuel herrscht zu jeder Zeit Hochbetrieb, ständig rauscht ein Zug vorbei. Deshalb ist die Station für Fans die „betrieblich interessanteste von ganz Berlin“. Zwischen 1881 und 1900 ist das Kreuz im Eiltempo gewachsen, auf Zweckmäßigkeit konnte niemand recht achten. Alle Züge, die im Osten Berlins verkehren, müssen das Nadelöhr passieren. Manchmal nur in Schrittgeschwindigkeit. Neben S-Bahnen sind es auch ICE, Nachtzüge und Regionalbahnen. Leute wie Thomas Kabisch kennen alle. Sie wissen ebenfalls ganz genau, zu welcher Uhrzeit eine „Ludmilla“, also eine Diesellok, ausnahmsweise auf den S-Bahngleisen ein paar City-Nightline-Wagen zur Warschauer Straße rangiert. Das ist ein äußerst beliebtes Motiv. Genauso der Güterzug der S-Bahn, der ab und zu vorbeikommt. Er ist aus alten Viertelzügen und Pritschenwagen zusammengesetzt. Alle wissen, was sie an der verlotterten Station haben. Nämlich den Urzustand und eine permanente Rush-Hour. Sonst erginge es ihnen doch oft so, sagt Kabisch: „Entweder man findet schöne alte Bahnanlagen, aber es nichts mehr los – wie in Polen. Oder es ist viel los, und dann gibt es nur noch Beton – so wie mittlerweile meistens in Berlin.“

Phasenweise kommen Gerüchte über bevorstehende Bauarbeiten auf. Ende 2005 galt zuletzt als Termin. Das reichte, um in jüngster Zeit besonders viele Neugierige anzuziehen. Sie wollten noch einmal alles gründlich dokumentieren. Da wußten die Profis längst, daß sich ohnehin nichts tun würde. Fischer, Kabisch und alle Weggefährten können die Daten herunterbeten, an denen der Startschuß fallen sollte: 1999, 2002, 2005… Sie lächeln nur müde. Abgedroschen sind sogar die Wortspiele. Bis vor ein, zwei Jahren kokettierte man selbst in hohen S-Bahn- oder Deutsche-Bahn-Etagen mit Sprüchen: daß das „Ostkreuz nur noch aus Gewohnheit steht“ oder daß es nur „von Rost und Schmutz zusammengehalten wird“. Jetzt ist selbst der Galgenhumor verstummt. Man läßt fahren und hofft, daß es irgendwie hält. „Ohne das Ostkreuz bricht der S-Bahn-Verkehr zusammen, deshalb traut sich da keiner ran.“ So schildert ein Zugführer, der gerade abgelöst wurde, die Lage. Dann verschwindet er im Container, der für ihn und seine Kollegen als Aufenthaltsraum aufgestellt wurde. Immerhin diese Neuerung gab es. Die für den Umbau zuständige Deutsche Bahn AG läßt folgenden Stand der Dinge mitteilen: Der Planfeststellungsbeschluß stehe aus, und auch danach müsse zunächst das Land Berlin eine parallel zur Ringbahn verlaufende Straßenbrücke neu errichten. Ein neuer Zeitpunkt des Baubeginns wird ausnahmsweise nicht genannt. Oder schlauerweise? Sicher sei nur, sagt Bahn-Sprecher Michael Baufeld, daß der Umbau schrittweise im laufenden Betrieb stattfinden und sieben bis zehn Jahre dauern werde.

Bis der Beton, der natürliche Feind aufrechter Bahnfans, Einzug hält, kann es lange dauern. Auf ganz wenigen Quadratmetern gibt es ihn sogar schon, aber eigentlich merkt das keiner. Auf dem Ringbahnsteig liegt ein Stückchen neues Waschbetonpflaster. „Das war die einzige Instandsetzung seit 1990“, schmunzelt der Fachmann Kabisch. Gern macht er auch darauf aufmerksam, daß alle Stationsschilder aus DDR-Zeiten stammen und daß Wegweiser zur Tram führen, die seit Ewigkeiten nicht mehr fährt. Vieles, das muß er zugeben, ist jedoch eine echte Zumutung. Dementsprechend sind denn auch die Mienen der Menschen, die von einem Bahnsteig zum anderen hasten, stolpern oder geschoben werden, nicht gerade nostalgisch-beflügelt, sondern eher ungeduldig und finster. Etwa um sieben Uhr morgens, der absoluten Spitzenzeit. Dann zählt nur, den Ort so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Schubweises Drängeln über die Ebenen und um die Ecken. Schilder warnen vor „Schäden im Treppenbereich“ und „Lücken zwischen Zug und Bahnsteig“. Aber nicht nur Bauschäden können einen zu Fall bringen, schon das ausgestreckte Bein eines Sitzenden reicht aus. Ein gnadenloses Gedränge herrscht an den Treppenabgängen am Ringbahnsteig. Ausgerechnet da stehen Sitzbänke, weil es die wenigen windgeschützten Plätze sind.

Eine der Treppen spült die Menschen unten direkt an eine kleine Obstbude heran. Auch dieser dunkelgrüne Verschlag ist ein Phänomen wie das ganze Ostkreuz. Es gibt den Stand seit 15 Jahren, er macht nie zu. An Thorsten Brabenders Bude kommt keiner vorbei. Bananen nachts um vier, wenn am Wochenende der Bahnhof so rammelvoll ist wie sonst morgens um acht: kein Problem. Brabender profitiert davon, daß die Zeit stillsteht am Ostkreuz. Einen so günstigen Standort bekommt er nicht wieder. Dafür machen er und seine Leute einen Knochenjob im wahrsten Sinne. Alles müssen sie über die Treppen und den oberen Bahnsteig herschleppen. Die Ware mit der S-Bahn heranzuschaffen, ist schon seit zehn Jahren verboten.

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